“Der Mittelstand verspielt, was er sich mühsam aufgebaut hat”

     

    Es ist ein erschreckendes Phänomen, das seit einigen Jahren um sich greift. Da bauen sich Mittelständler über Jahrzehnte hinweg ein profitables Geschäftsmodell auf, werden Vorreiter ihrer Branche, glänzen mit Beständigkeit und Qualität – und verpassen fahrlässig den Anschluss an die digitale Zukunft. „Digitalisierung? Das ist nichts für uns“, hört man oft aus den Führungsetagen der Hidden Champions, während innovative Wettbewerber zeitgleich die Kunden abgraben und das Geschäftsmodell knallhart verändern. Und sie selbst? Sehen tatenlos zu.

    Es ist zum Verzweifeln. In einer Welt, in der wir aufgeschmissen sind ohne Smartphone, in der wir Autos über Apps mieten und über WLAN telefonieren, zweifeln viele Unternehmen nach wie vor am Sinn und Zweck der Digitalisierung. Das gute alte Fax ist häufig noch präsent und die Internetverbindungen oft so langsam, dass sich Cloud-Computing oder Big-Data-Analysen einfach nicht realisieren lassen. Damit entgeht den Unternehmen nicht nur ein lohnender Geschäftsbereich, sondern im Zweifel auch eine erfolgreiche Zukunft.

    Es muss nicht immer die Vollautomatisierung sein

    Oftmals ist es der Mehrwert, den viele Unternehmer einfach nicht sehen. „Das ist doch nur was für die großen Konzerne“, bekomme ich vielfach zu hören, gepaart mit Ratlosigkeit und einer daraus resultierenden ablehnenden Haltung, die sich nur schwer durchbrechen lässt. Vielen Chefs fehlt die Kreativität, die Chancen der Digitalisierung ins eigene Geschäftsmodell zu integrieren. Dabei reichen schon kleine Schritte zum Erfolg, wie folgende Beispiele zeigen.

    Da gibt es den kleinen Heizungsbauer, der weiterdenkt und die Heizkörper mit SIM-Modulen ausstattet, um näher am Endkunden zu sein und dem Kunden das lästige Heizungsablesen zu ersparen. Oder den Spediteur, der in seinen Lkw Machine-to-Machine-Module installiert hat, um in Echtzeit Fahrzeugdaten zu verschicken und die Lieferung so effizient wie möglich zu gestalten. Und selbst der Landwirt mit seinem Feld, eine der traditionellsten Branchen überhaupt, kann inzwischen die Erntequalität mit Sensoren und Bewässerungstechnik optimieren und so das Beste aus seiner Saat herausziehen. Sie sehen: Digitalisierung kann überall stattfinden. Man muss nur wissen, wie.

    Digitalisierung ist ein Marathon und kein Sprint

    Wichtig ist: Es muss nicht gleich die Vollautomatisierung sein, um das eigene Unternehmen digital aufzustellen. Es reicht oft schon, klein anzufangen, zum Beispiel die Internetverbindung zu beschleunigen und von Fax auf E-Fax/E-Mail umzustellen und sich peu à peu zu digitalisieren. Was danach kommt, kann dann in einem zweiten Schritt besprochen werden. Hauptsache, man wagt den ersten Schritt. Und bleibt am Ball.

    Wie oft habe ich es erlebt, dass Chefs das Projekt Digitalisierung mittendrin abbrechen. Da sie ungeduldig werden und Erwartungen haben, die von heute auf morgen einfach nicht zu erfüllen sind. Dass sie einen Sprint machen wollen statt einen Marathon, obwohl das Thema für sie die vergangenen Jahre doch so uninteressant war. Und die Digitalisierung jetzt übers Knie brechen, statt an die lange Frist zu denken und an Nachhaltigkeit. Ergo geht dem Sprinter während des Marathons schnell die Motivation/Geduld/Puste aus.

    Vier Schritte zum Erfolg

    Um den Marathon erträglicher und effizienter zu gestalten, rate ich zu vier Etappen. Zunächst muss die Infrastruktur geschaffen werden, um die Digitalisierung nutzen zu können. Breitbandanbindungen etwa und professionelle Datenleitungen, die über einen Privatkundentarif hinausgehen. Der zweite Schritt betrifft das Mindset und Chefs, die den Wandel erst mal verarbeiten und verinnerlichen müssen. Denn ohne Offenheit wird der Prozess scheitern, so gut er auch durchdacht sein mag. Erst wenn die Einstellung der Führungsetagen stimmt, lohnt es sich drittens, die Mitarbeiter miteinzubeziehen und sie am Wandel mit eigenen Ideen partizipieren zu lassen. Und in einem vierten Schritt gilt es, im besten Fall gemeinsam mit einem Digitalisierungsspezialisten, langfristige Geschäftsmodelle zu ersinnen, die nicht nur die Produkte, sondern auch die Prozesse digitalisieren.

    Das Ganze kann nicht über Nacht funktionieren. Und es Bedarf der Sprache der Unternehmen. Wer mit englischen Fachbegriffen um sich schmeißt, hat den 60-jährigen Mittelstandschef meist schon zu Beginn der Verhandlungen verloren. Es braucht am Ende mehr als die bloße Strategie und das finanzielle Investment. Denn der beste Plan nützt nichts, wenn die Bereitschaft und die Akzeptanz zur Weiterentwicklung des Unternehmens fehlt.